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Der Auftakt zur Multi-Messenger-Astronomie: Mehrkanalbeobachtungen eines verschmelzenden Doppelneutronensterns

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Am 17. August 2017 wurden Astronomen auf der ganzen Welt alarmiert, dass die Gravitationswellen-Detektoren Advanced LIGO und Advanced Virgo ein Signal beobachtet hatten. Dieses Gravitationswellenereignis, heute bekannt als GW170817, schien dem Verschmelzen zweier Neutronensterne zu entsprechen. Zudem beobachtete der NASA-Satellit Fermi weniger als zwei Sekunden nach GW170817 einen Gammablitz, genannt GRB170817A. Weniger als eine Stunde nach diesen ersten Entdeckungen begannen Teleskope auf der ganzen Welt mit einer ausgedehnten Beobachtungskampagne. Das optische Swope-Teleskop in Chile war das erste, das vom Auffinden eines hellen, zuvor nicht bekannten Objektes (SSS17a) in der Galaxie NGC 4993 berichtete, und mehrere weitere Beobachtungsgruppen wiesen in den nächsten Minuten und Stunden die selbe Quelle nach. Über die nächsten Wochen beobachteten Astronomen diese Stelle am Himmel mit zahlreichen Instrumenten, die fast das gesamte elektromagnetische Spektrum abdecken. Diese Beobachtungen liefern einen umfassenden Blick auf dieses kataklysmische Ereignis, von etwa 100 Sekunden vor der Verschmelzung bis mehrere Wochen danach. Gemeinsam bekräftigen sie die Erklärung, dass in NGC 4993 zwei Neutronensterne verschmolzen sind und dabei Gravitationswellen, einen kurzen Gammablitz und eine sogenannte Kilonova produzierten. GW170817 läutet damit eine neue Ära der sogenannten Multi-Messenger-Astronomie ein: der englische Ausdruck für gemeinsame Beobachtungen sozusagen "auf mehreren Kanälen", mit Gravitationswellen und elektromagnetischen Wellen.

Einleitung

Das Konzept von Neutronensternen wurde bereits 1934, vor über 80 Jahren, zuerst entwickelt; doch es dauerte 33 Jahre, bis solche Objekte zuerst entdeckt wurden. 1967 wurde die Röntgenstrahlung der astronomischen Quelle Scorpius X-1 (im Sternbild Skorpion) einem Neutronenstern zugeordnet, und später im selben Jahr wurde der erste Radiopulsar entdeckt. Seitdem wurden auch mehrere Systeme aus zwei Neutronensternen entdeckt, darunter der Hulse-Taylor-Binärpulsar, ein Doppelstern, bei dem einer von zwei Neutronensternen als Pulsar zu beobachten ist. Binärneutronensterne haben bereits strenge Überprüfungen von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie geliefert, darunter den ersten deutlichen Nachweis für die Abstrahlung von Gravitationswellen. Seit der Frühphase des LIGO-Projekts wurden Verschmelzungen zweier Neutronensterne als ein Hauptziel für die direkte Messung von Gravitationswellen betrachtet.

In der Mitte der 1960er wurden durch die Vela-Satelliten sogenannte Gammablitze (englisch: GRBs) entdeckt. Später wurde klar, dass diese nicht irdischen, sondern kosmischen Ursprungs sind, und seitdem ist es eine der zentralen Aufgaben der Hochenergie-Astrophysik, ihre Quellen zu ermitteln. Schon früh wurde vorgeschlagen, dass solche Ausbrüche mit Neutronenstern-Verschmelzungen zusammenhängen. 2005 gab es dann einen wissenschaftlichen Durchbruch, als erstmals ein kurzer Gammablitz ("short GRB" oder sGRB) eindeutig einer bestimmten Galaxie als Quelle zugeordnet werden konnte, und sein Nachglühen in mehreren Wellenlängenbereichen (Röntgen, sichtbares Licht, Radio) beobachtet wurde. Diese Beobachtungen auf mehreren Wellenlängen ergaben einen starken Hinweis darauf, dass sGRB-Signale von der Verschmelzung zweier Neutronensterne (oder eines Neutronensterns und eines Schwarzen Lochs) stammen.

Die Multi-Messenger-Entdeckung

Am 17. August 2017 wurde vom GBM-Instrument ("Gamma-ray Burst Monitor") an Bord des NASA-Satelliten Fermi eine automatische Benachrichtigung über den Gammablitz GRB170817A versendet. Nach etwa 6 Minuten hatte auch die automatische LIGO-Datenanalysesoftware einen vielversprechenden Kandidaten für ein Gravitationswellenereignis (später dann als GW170817 bezeichnet) in den Daten des LIGO-Hanford-Detektors identifiziert - entsprechend den Erwartungen für verschmelzende Neutronensterne und fast zeitgleich zu GRB170817A, weniger als 2 Sekunden vor jenem Ausbruch. Eine für solche Ereignisse bereitstehende Gruppe von LIGO-Virgo-Wissenschaftlern (das "rapid-response team") analysierte die Daten zusätzlich von Hand und gab eine Alarmnachricht heraus, in der berichtet wurde, dass ein Gravitationswellenkandidat mit hoher statistischer Signifikanz in zeitlicher Übereinstimmung mit dem Fermi-GBM-Ereignis gefunden worden war. Die ersten Analysen von Fermi, sowie mit allen drei Gravitationswellen-Detektoren, ergaben auch die Bereiche des Himmels aus denen GRB170817A und GW170817 am wahrscheinlichsten stammen - siehe Abbildung 1.

Dieses Ereignis stellt damit die erste Gravitationswellen-Multi-Messenger-Entdeckung dar: sowohl Gravitationswellen als auch elektromagnetische Wellen wurden beobachtet. Teleskope auf der ganzen Welt richteten ihren Blick auf das von LIGO, Virgo und Fermi identifizierte Gebiet am Himmel, um dieselbe Quelle zu finden. Entscheidende Beobachtungen wurden in mehreren Wellenlängenbereichen des elektromagnetischen Spektrums gemacht, und auch nach Neutrinos wurde gesucht; Abbildung 2 zeigt den zeitlichen Ablauf all dieser Beobachtungen. Diese Messungen auf verschiedenen Beobachtungskanälen waren entscheidend für den Reichtum an wissenschaftlichen Erkenntnissen, den diese Entdeckung uns beschert hat.

Als die Nachricht über GW170817 die weltweite Astronomie-Gemeinschaft erreichte, war das entsprechende Himmelsgebiet auf der Südhalbkugel für Beobachter in Australien bereits untergegangen, aber gut sichtbar für Teleskope in Südafrika und Chile. In den ersten Stunden der chilenischen Nacht fand das Swope-Teleskop ein zuvor unbekanntes Objekt (SSS17a) im optischen Licht, innerhalb der Galaxie NGC 4993. Über die nächsten zwei Wochen setzte ein Netzwerk von Teleskopen sowohl auf dem Erdboden als auch im Weltall die Beobachtungen fort, dabei wurden Ultraviolett (UV), sichtbares Licht (O für optisch) und Nahinfrarot (IR) abgedeckt und die Energieverteilung über die verschiedenen Wellenlängen (das Spektrum der Quelle) genau vermessen. Daraus ließ dieses außergewöhnliche Gegenstück zu den kurzen Ereignissen GW170817 und GRB170817A als eine sogenannte Kilonova identifizieren. Diese gemeinsamen Beobachtungen stellen damit eine eindeutige Verbindung von Kilonovae und verschmelzenden Neutronensternen her und unterstützen die Vorstellung, dass Kilonovae durch den radioaktiven Zerfall schwerer Elemente entstehen, die durch Neutroneneinfang aus Auswurfmaterial der Verschmelzung produziert wurden.

Nach der Kilonova wurden auch Röntgen- und Radio-Beobachtungen der Quelle gemacht, die ein spätes Nachglühen fanden. Daraus ergaben sich wichtige Informationen über die von der Explosion freigesetzte Energie, das Auswurfmaterial und die interstellare Umgebung. Außerdem wurde nach hochenergetischen Neutrinos gesucht, die zur gleichen Zeit und aus dem gleichen Himmelsgebiet kamen, denn durch die extrem schnellen Materialflüsse bei einer Neutronensternverschmelzung sollten auch solche Teilchen abgestrahlt werden. Jedoch konnten keine Neutrinos aus der Richtung von GW170817 gefunden werden, und auch kein Supernova-artiger Ausbruch von Neutrinos zur selben Zeit. Nachdem NGC 4993 als die Herkunftsgalaxie des Ereignisses identifiziert worden war, wurde für zwei weitere Wochen nach Neutrinos aus dieser Richtung gesucht, aber nichts Signifikantes gefunden. Ein verbleibendes Ziel der Multi-Messenger-Astronomie ist damit, Gravitationswellen, elektromagnetische Strahlung und Neutrinos von ein und derselben Quelle zu beobachten.

Fazit

Erstmals konnten sowohl Gravitationswellen als auch elektromagnetische Wellen von ein und derselben astrophysikalischen Quelle beobachtet werden. Die kombinierten Ergebnisse untermauern die Hypothese, dass es sich bei der Quelle um das Verschmelzen zweier Neutronensterne handelte. Gemeinsam erlaubten sie uns auch das Auffinden der Ursprungsgalaxie dieses Ereignisses. Die elektromagnetischen Beobachtungen umfassen dabei drei wesentliche Phänomene bei verschiedenen Wellenlängen: (i) Ein prompt auf das Gravitationswellensignal folgender kurzer Gammastrahlenblitz, der beweist, dass zumindest ein Teil dieser Blitze von verschmelzenden Neutronensternen stammt. (ii) Eine für einen bestimmten Zeitraum zu beobachtende Ultraviolett-, Licht- und Infrarot-Strahlung, abgegeben vom radioaktiven Zerfall schwerer Elemente - die erste derart klare Beobachtung einer solchen Kilonova. (iii) Zuletzt auch Gegenstücke in Röntgen- und Radio-Strahlung.

Damit erhielten wir die erste Gesamtansicht der Prozesse, die nach einer Verschmelzung von Neutronensternen ablaufen, inklusive eines Strahls hochenergetischer Teilchen und der Wechselwirkung dieses Strahls mit dem umgebenden interstellaren Medium. Dieses Ereignis verdeutlicht auch die Bedeutung der Zusammenarbeit von Astronomen und Observatorien im Bereich der Gravitationswellen, des gesamten elektromagnetischen Spektrums sowie der Neutrinos. Es eröffnet eine neue Ära der Multi-Messenger-Astronomie und der Beobachtung zeitlich veränderlicher Prozesse im Universum.

Weiterführende Informationen:

Glossar

  • Schwarzes Loch: Eine Raumzeitregion, erzeugt durch eine extrem kompakte Masse, in der die Gravitation so stark ist, dass nichts, nicht einmal mehr Licht, entkommen kann.
  • Gammastrahlung: Eine Form von elektromagnetischer Strahlung - die energiereichste des elektromagnetischen Spektrums.
  • Neutrino: Extrem leichtes Elementarteilchen, ohne elektrische Ladung.
  • Neutronenstern: Extrem dichtes Objekt, das nach dem Kollaps eines schweren Sterns zurückbleibt.

Künstlerische Interpretation des Verschmelzens von zwei Neutronensternen.

Künstlerische Interpretation des Verschmelzens von zwei Neutronensternen. Die gebündelten Lichtstrahlen stellen den Gammablitz dar, während die Gravitationswellen - wie durch das gewellte Gittermuster angedeutet - sich in alle Richtungen ausbreiten. Die wirbelnden Wolken aus Materie, die von den verschmelzenden Sternen ausgeworfen wurden, sind eine mögliche Quelle für das Licht, das später auf mehreren Wellenlängen beobachtet wurde. Bildrechte: National Science Foundation/LIGO/Sonoma State University/A. Simonnet.

Abbildungen aus dem Fachartikel

Weiterführende Informationen im hier abzurufenden Originalartikel.

Lokalisierung von GW170817 am Himmel.

Abbildung 1: Lokalisierung der Gravitationswellen-, Gammastrahlen- und optischen Signale am Himmel. Die Hauptgraphik links zeigt eine Projektion der Region, aus der das Signal jeweils mit 90% Wahrscheinlichkeit kam, jeweils berechnet nur mit LIGO-Daten (hellgrün), Daten von LIGO und Virgo (dunkelgrün), aus der Zeitverzögerung zwischen den beiden Satelliten Fermi und INTEGRAL (hellblau), sowie mit Daten von Fermi-GBM (dunkelblau). Die beiden Quadrate rechts zeigen die Galaxie NGC 4993, oben die erste Aufnahme des optischen Gegenstücks mit dem Swope-Teleskop (10,9 Stunden nach GW170817, neues Objekt mit einem Fadenkreuz markiert), unten eine Aufnahme des Teleskops DLT40 von 20,5 Tagen vor dem Ereignis (Objekt noch nicht sichtbar).

Abbildung 2: Der zeitliche Ablauf der Entdeckung von GW170817, GRB170817A und SSS17a/AT2017gfo sowie der weiteren Folgebeobachtungen werden in Abbildung 2 des Fachartikels umfassend dargestellt. Hier zeigen wir einzelne Teile dieser Abbildung und beschreiben sie im Detail.

Zeitlicher Ablauf der Beobachtung von GW170817 und den elektromagnetischen Gegenstücken

Abbildung 2a: Überblick über den gesamten zeitlichen Ablauf und alle Einzelbeobachtungen. Für jeden Beobachtungskanal ("Messenger") wird eine Zeile mit zwei Arten von Informationen gezeigt: Zum einen stehen die schattierten Striche dafür, wann die Beobachtung in einem elektronischen Rundschreiben, einem sogenannten "GCN Circular", bekanntgemacht wurde. Die beteiligten Beobachter und Beobachtergruppen sind am jeweiligen Zeilenanfang gesammelt. Zweitens zeigen die durchgezogenen horizontalen Linien an, wann ein Signal von mindestens einem Observatorium oder Teleskop auf diesem Kanal gemessen werden konnte, und die Größe der Kreise an diesen Linien zeigt in etwa die Stärke des Signals an.

Spektrogramm von GW170817

Abbildung 2b: Dies sind die Spektrogramme der Gravitationswellendaten in den beiden LIGO-Detektoren und dem Virgo-Detektor. Man sieht deutlich das typische "Chirp"-Signal mit ansteigender Frequenz und Signalstärke, wie für zwei verschmelzende kompakte Objekte erwartet.

Aufnahmen von Licht-, Röntgen und Radioteleskopen

Abbildung 2c: Insgesamt 8 Aufnahmen verschiedener Teleskope von späteren Gegenstücken des Verschmelzungsereignisses (mit den Katalognummern SSS17a/AT2017gfo). Die ersten 6 von links sind Aufnahmen im sichtbaren Licht, zwischen 10 und 12 Stunden nach der Verschmelzung mit 6 verschiedenen Teleskopen aufgenommen. Ganz rechts oben ist eine Röntenaufnahme, 9 Tage später mit dem NASA-Weltraumobservatorium Chandra gemacht. Nach 16 Tagen konnte schließlich das NRAO-Radioteleskop Jansky Very Large Array (VLA) die Radioaufnahme ganz rechts unten machen. In allen 8 Aufnahmen befindet sich das Zentrum der Galaxie NGC 4993 in der Mitte, und leicht nach oben links versetzt ist die neue Entdeckung SSS17a/AT2017gfo mit einem Fadenkreuz markiert.

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